Die neue EU-Maschinenverordnung nimmt immer mehr Gestalt an. Im Dezember 2022 wurde ein weiterer Meilenstein erreicht: Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union konnten eine vorläufige Einigung über die Inhalte der neuen Maschinenverordnung erzielen. Sie soll in den nächsten Jahren die bisherige Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ersetzen und dem technologischen Fortschritt in den Bereichen Digitalisierung und KI Rechnung tragen.
Mit Blick auf die Technische Dokumentation fällt besonders eine Neuerung ins Auge: Erstmals wird das Thema der digitalen Betriebsanleitung klar adressiert. Wird damit das Ende der Print-Dokumentation eingeläutet?
Wir haben uns die aktuelle Fassung der Maschinenverordnung genauer angeschaut und zeigen Ihnen, worauf sich die Hersteller künftig einstellen können.
Die Maschinenrichtlinie bildet seit ihrer Veröffentlichung im Jahr 2006 den zentralen Rechtsrahmen für das Inverkehrbringen von Maschinen in den EU-Binnenmarkt. Die enormen technologischen Fortschritte in Bereichen wie Digitalisierung, künstliche Intelligenz und kollaborative Robotik stellen die Industrie aber mittlerweile vor neue Herausforderungen – ganz besonders wenn es um Sicherheitsfragen in diesen Bereichen geht. Das Problem vieler Maschinenhersteller:
Die Vorschriften reichen in ihrer derzeitigen Form nicht mehr aus, um die neuen Risiken umfassend abzudecken, die sich aus den aufstrebenden Technologien ergeben. Genau hier setzt die EU-Kommission mit der neuen Maschinenverordnung an.
Das erklärte Ziel: Inkonsistenzen mit anderen EU-Produktvorschriften sollen aufgelöst und bestehende regulatorische Lücken in der aktuellen Maschinenrichtlinie geschlossen werden. Aus EU-Sicht möchte man damit ein innovationsförderndes Klima für die Wirtschaftsakteure schaffen, das nicht länger durch Rechtsunsicherheiten getrübt ist.
Die auffälligste Neuerung: Eine Richtlinie wird nun durch den EU-Rechtsakt einer Verordnung abgelöst. Was heißt das konkret? Die neue Maschinenverordnung wird bei Erscheinen unmittelbar Rechtswirkung entfalten und muss nicht erst in einem aufwändigen Prozess von den nationalen Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.
Der Vorteil: So wird eine EU-weit einheitliche und rasche Durchführung der neuen Rechtsvorschriften sichergestellt. Unterschiedliche einzelstaatliche Auslegungen oder eine verzögerte Umsetzung der Bestimmungen, wie sie in einigen Fällen bei der Einführung der aktuellen Maschinenrichtlinie auftraten, gehören damit der Vergangenheit an.
Mit der Einigung zwischen EU-Parlament und EU-Rat ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Inkrafttreten der neuen Maschinenverordnung getan. Wie geht es jetzt weiter? Die Verordnung wurde im Juni 2023 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und tritt am 19. Juli 2023 in Kraft. Offiziell anzuwenden ist die neue Verordnung ab dem 20. Januar 2027.
Auch im Bereich der Nutzerinformationen hat die EU-Kommission die Zeichen des digitalen Wandels erkannt und endlich konkrete Regelungen für die Technische Dokumentation in digitaler Form formuliert.
Folgende Beweggründe für diesen Schritt heben die Autoren in ihrem Entwurf hervor:
Wie sieht nun die neue Regelung konkret aus?
Beginnen wir mit der positiven Nachricht: In dem vorliegenden Entwurf wird den Herstellern erstmals und ausdrücklich erlaubt, die Technische Dokumentation in digitaler Form zur Verfügung zu stellen.
Wer sich an dieser Stelle bereits gedanklich vom Thema Print-Dokumentation verabschiedet, wird beim weiteren Lesen der Verordnung aber enttäuscht. Denn auf entsprechenden Wunsch des Kunden müssen die Dokumente zusätzlich zur digitalen Version in Papierform geliefert werden – und das kostenlos und innerhalb von einem Monat.
Zur Bereitstellung der digitalen Anleitung werden zudem folgende Vorgaben gemacht:
In Herstellerkreisen hat man lange darauf gewartet, jetzt ist sie endlich da: Eine erste offizielle Aussage von EU-Seite zum Thema digitale Betriebsanleitung für Maschinen. Doch ist das wirklich schon der lang erhoffte Paradigmenwechsel für die Bereitstellung von Nutzerinformationen?
Spätestens beim zweiten Lesen der neuen Verordnung macht sich eine gewisse Skepsis breit. Im Hinterkopf bleibt vor allem der Aspekt der gedruckten Anleitung, die auf Kundenwunsch weiterhin zur Verfügung gestellt werden muss.
Im Bereich des Anlagen- und Sondermaschinenbaus dürfte diese Regelung die Hersteller dank der kleinen Stückzahlen vor keine allzu großen Schwierigkeiten stellen. Pro Anlage eine zusätzliche Anleitung zu drucken, bedeutet eben keinen unverhältnismäßigen Mehraufwand.
Bei Produkten mit großer Stückzahl sieht es da schon anders aus: Hier wird sich nicht so leicht eine kundenindividuelle Lösung für das Thema finden lassen, zumal zwischen Hersteller und Endanwender häufig noch Zwischenhändler stehen. Es liegt nahe, dass die Hersteller dann einfach jedem Produkt zusätzlich eine gedruckte Anleitung beifügen werden, um auf der sicheren Seite zu stehen. Bleibt es am Ende also doch wieder beim unhandlichen Handbuch in über 20 verschiedenen Sprachen? Zumindest in diesem Szenario würde sich mit der neuen Verordnung nicht viel am Status quo ändern und für die Hersteller wäre kaum etwas gewonnen.
Ein weiterer Aspekt, der aus Sicht der Dokumentationsersteller kritisch gesehen werden dürfte:
Das enorme Usability-Potenzial digitaler Informationsprodukte (Multimedia, praktische Suchfunktion, kontextabhängiger Zugriff) taucht in der neuen Regelung bislang nicht auf. Anstatt die ergonomischen Vorteile einer digitalen Informationsnutzung hervorzuheben, wird wieder nur die Frage nach der reinen Verfügbarkeit der digitalen Information gestellt. Angesichts der Allgegenwärtigkeit mobiler Endgeräte und smarter App-Lösungen erscheint diese Herangehensweise wenig zeitgemäß. Hier hätte man sich von Seiten der Industrie wahrscheinlich ein klareres Bekenntnis zum Nutzen digitaler Informationsprodukte gewünscht.
Trotz aller Kritik bleibt aber festzuhalten: Mit dem Entwurf zur neuen Maschinenverordnung sprechen die Autoren das Thema der digitalen Dokumentation erstmals explizit an und ermöglichen den Herstellern, neue Wege bei der Bereitstellung ihrer Produktinformationen zu gehen. Allein diese Tatsache zeugt schon von einer Änderung im Denken der EU-Kommission und ist ohne Zweifel ein Schritt in die richtige Richtung.