Wenn wir über Terminologiearbeit sprechen, sprechen wir eher über die Regelfälle als über die Ausnahmen. Seltene Phänomene werden meist ausgeblendet, solange niemand direkt darüber stolpert. Ziel der Terminologie ist es schließlich, Eindeutigkeit zu schaffen. Meistens läuft das darauf hinaus, dass wir aus einer Reihe von Synonymen genau eine Benennung als "bevorzugt" kennzeichnen und den Rest als "verboten". Jeder weiß, was ein Synonym ist – auch die Benennungsprüfung, die einmal angelegte verbotene Synonyme herausfiltert. Was die eine oder der andere vielleicht noch nicht weiß: Es gibt auch das Gegenteil.
1. UMFAHREN, vb.; 2. UMFAHREN, vb.
Bei der sogenannten Homonymie steht derselbe Term für unterschiedliche Begriffe, hat also mehrere Definitionen. Ein bekanntes Beispiel ist der Term Schloss, der u. a. das repräsentative Gebäude und eine Vorrichtung zum Verschließen bezeichnet und ansonsten in Schreibung, Aussprache, Genus und Flexion identisch ist. Dies ist ein Fall von Homonymie im engen Sinne; es gibt auch Homonyme, die sich in einem dieser Aspekte unterscheiden (der Kiefer – die Kiefer, Meer – mehr, die Banken – die Bänke) und jede Menge Mischformen. Eine dieser Untergruppen bilden die Homografen: Wörter, die gleich geschrieben sind, sich aber in anderen formalen Aspekten (z. B. Betonung) unterscheiden.
Ist das für die Terminologie eigentlich interessant? Nein. Die Buchstaben stehen an der richtigen Stelle, die Benennungsprüfung schlägt an oder eben nicht und der Kontext gibt Aufschluss darüber, ob eher modern oder modern gemeint ist und ob die vorgeschlagenen bevorzugten Terme in diesem Kontext vielleicht völliger Unsinn sind. Da die Bedeutungen bei Homografen meistens weit auseinanderliegen, kann man diese Schwäche des Terminologietools, das weder Betonung noch z. B. unterschiedliche Flexionen erkennt, getrost ignorieren. Aber es sollte ja um Ausnahmen gehen, deswegen hier eine lebenswichtige: Homografen können auch das genaue Gegenteil voneinander bedeuten. Ob man die Oma jetzt umfährt oder umfährt, weiß kein Terminologietool (und auch kein:e Leser:in), solange der Kontext nicht eine gewisse Flexion erzwingt: Hat man die Oma erstmal umgefahren, ist es zu spät, um sie zu umfahren; hat man sie umfahren, besteht keine Gefahr mehr, sie umzufahren.
Alles klar?