ChatGPT – Konkurrent oder Kollege?

Wie KI-Systeme die Technische Dokumentation verändern.

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ChatGPT – Konkurrent oder Kollege?

 

Die Aufruhr um ChatGPT ist in diesen Tagen groß. Als Geschäftsführer und Arbeitgeber habe ich mir natürlich auch die Frage gestellt: Wie verändern intelligente Systeme unsere Arbeitswelt? Zeit für eine persönliche Einordnung.

 

ChatGPT: das Netzphänomen

4 Millionen Nutzer:innen nach einer Woche, über 100 Millionen nach nur zwei Monaten.
Die ganze Welt scheint aus dem Häuschen zu sein – und das wegen einer künstlichen Intelligenz, die in Sekundenschnelle Kurzgeschichten, Hausarbeiten, Blogartikel und Drehbücher verfassen kann.

ChatGPT: Schreibe eine Java-Fehlermeldung als Limerick.

Was war vor dem Urknall?

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Die KI findet auf (fast) jede Anfrage eine Antwort. Das tut sie unbeirrbar und – zumindest auf den ersten Blick – sprachlich einwandfrei. Im Internet hat der Release von ChatGPT längst eine neue Grundsatzdiskussion darüber entfacht, wie KI-Systeme unser berufliches Leben verändern werden. Die Reaktionen reichen dabei je nach Sichtweise von Euphorie bis Untergangsstimmung.
Bemerkenswert ist: Im Unterschied zu bisherigen Technologiesprüngen betreffen die kommenden Umwälzungen in erster Linie Hochqualifizierte und Geistesarbeiter:innen.
Welche Auswirkungen hat die KI auf ihre Berufe? Oder ganz konkret aus der Perspektive meiner Branche gefragt: Werden KI-Systeme die Jobs von Technischen Redakteuren und Redakteurinnen bald überflüssig machen? Müsste ich diese Frage in nur einem Satz beantworten, würde dieser wahrscheinlich mit den Worten „Nein, aber …“ beginnen. Doch der Reihe nach.

 

Warum ChatGPT für spezielle Aufgaben (noch) nicht geeignet ist

Mein Zwischenfazit nach den ersten Testrunden mit dem gesprächigen Chatbot:
Die Antworten der KI sind oft verblüffend gut. Häufig bleibt sie aber auch vage und einige der Antworten sind gespickt mit falschen Behauptungen. Abgesehen davon, dass man sich inhaltlich nicht auf ChatGPT verlassen sollte:
Wie lässt sich das Tool im beruflichen Alltag von Technischen Redakteur:innen nutzen?
Um es kurz zu machen: Für spezialisierte Aufgaben ist die Text-KI in ihrer aktuellen Ausbaustufe noch nicht geeignet. ChatGPT wurde zwar mit einem riesigen Datenstamm aus Artikeln, Wikis und anderen Internettexten trainiert. Das System weiß aber nichts über fachspezifische oder organisationsinterne Datensätze von Unternehmen und kann daher nur auf Wissen zugreifen, das frei im Internet verfügbar ist.
Wenn es also um konkrete Anfragen wie z. B. „Schreibe eine Anleitung zu Produkt XY“ geht, kommt eine allgemeine KI wie ChatGPT ganz schnell an ihre Grenzen. Ihr fehlt es schlicht an den erforderlichen Daten, um solche speziellen Aufgaben zu lösen – logisch.

 

Smarter Assistent für Routineaufgaben

Branchenunabhängig lässt sich das Tool aber schon jetzt bei der täglichen Arbeit einsetzen. Der KI gelingt es beispielsweise gut, grundlegende Informationen zu einem Thema geordnet und verständlich zusammenzufassen. So macht ChatGPT vor allem beim Brainstormen von Ideen und als Inspirationshilfe für z. B. Blogbeiträge eine gute Figur. Auch als Unterstützung bei routinemäßigen Schreibaufgaben kann der Chatbot durchaus hilfreich sein – beispielsweise beim Verfassen und Übersetzen von E-Mails oder Anschreiben.
Wie zuvor erwähnt sind die KI-Texte zwar sprachlich überzeugend, hin und wieder flunkert der Chatbot aber munter drauflos und vermischt Fakten mit Falschinformationen. Das Tückische daran ist, dass man die falschen Informationen auf den ersten Blick nicht von den richtigen unterscheiden kann. Man muss sich also thematisch gut auskennen, damit man die Antwort richtig einordnen kann und der KI nicht auf den Leim geht.
Weitere Schwächen des Chatbots: Stilistisch sind die KI-Texte zum Teil noch etwas hölzern und einige Formulierungen wiederholen sich regelmäßig. Zudem ist die KI nicht in der Lage, ein Thema argumentativ richtig zu durchdringen. Das führt dazu, dass der Hauptaspekt eines Texts genauso viel sprachliche Aufmerksamkeit erfährt wie das viel unwichtigere Nebenargument.
Der KI-generierte Content ist daher grundsätzlich mit Vorsicht zu genießen und sollte auch bei interner Kommunikation nicht ungeprüft weitergegeben werden.

 

Was bringt die Zukunft?

ChatGPT als smarter Assistent für Routineaufgaben? Das klingt ehrlich gesagt noch nicht nach großer KI-Revolution. Richtig spannend wird es erst, wenn die KI-Tools im großen Stil mit den spezifischen Datensätzen der Unternehmen trainiert werden. Besonders in den Bereichen, in denen Standardprozesse ablaufen und eine umfassende Datenbasis vorliegt, werden KI-Systeme immer mehr Aufgaben übernehmen. Diese Entwicklung wird natürlich auch die Arbeit der Technischen Redaktion beeinflussen und verändern.
So werden die Tools beim Durchsuchen und Organisieren großer Content-Volumina eine wichtige Hilfe sein. Auch beim Schreibprozess selbst sehe ich Potenzial – etwa beim Vorformulieren und Zusammenstellen von Standardinhalten.
Die entscheidende Frage aber lautet: Was kann eine KI leisten, wenn es darum geht, etwas Neues und Individuelles zu erschaffen? Wird sie in der Lage sein, eine noch nicht dokumentierte Maschine von A – Z zu beschreiben? Kann sie ein Topic-Konzept für die Online-Hilfe einer neuen Software entwickeln?
Ich bin überzeugt: Beim Erschaffen von neuen Ideen und individuellen Lösungen werden Menschen – und das auch auf lange Sicht – die Nase vorn behalten.

 

Korrelation statt Kausalität: die Schwächen der KI

Das liegt in erster Linie daran, dass die KI zwar riesengroße Informationsmengen auswertet, dabei aber kein neues Wissen kreiert. Sie arbeitet, vereinfacht gesagt, mit statistischen Wahrscheinlichkeiten, ohne Einsicht in reale Zusammenhänge zu haben. Für das Lösen komplexer Probleme braucht es aber mehr als das Reproduzieren von schon Bekanntem. Dieser Mangel an menschlicher Lebenserfahrung wird sich auch durch immer größere Datenmengen und bessere Prüfmechanismen vermutlich nicht vollständig eliminieren lassen.
Gerade Technische Redakteur:innen wissen, was das bedeutet. Um an die wirklich wichtigen Informationen zu gelangen, reicht es nicht aus, nur die bereits vorhandenen Konstruktions- und Entwicklungsdaten auszuwerten. Ob es um die richtigen Handgriffe beim Ölwechsel einer Maschine oder um Tricks und Kniffe bei der Bedienung einer Software geht: Vieles von dem, was eine gute und verständliche Anleitung ausmacht, muss im persönlichen Gespräch mit der Konstrukteurin oder dem Entwickler eines Produkts recherchiert werden. In diesem Punkt sehe ich die künstliche Intelligenz noch lange nicht auf Augenhöhe mit dem Menschen.

Nicht zuletzt ist die Nachvollziehbarkeit des KI-generierten Contents ein großes Problem. Die Ergebnisse basieren in erster Linie auf statistischen Häufungen. Die KI liefert plausibel klingende und in sich kohärente Antworten, ohne einschätzen zu können, was richtig oder falsch ist. Ihr fehlt das kritische Denken, um die eigenen Aussagen zu hinterfragen.
Hinzu kommt: Die Entscheidungsfindung neuer Deep-Learning-Algorithmen ist rein technisch oft gar nicht mehr nachvollziehbar. So bleibt unklar, wie genau die KI zu einem bestimmten Ergebnis gelangt ist. Gerade in einem so sensiblen Bereich wie der Technischen Dokumentation werden Menschen die Ergebnisse der Maschine also immer überprüfen und anpassen müssen.

 

Mein Fazit: vielversprechende Chancen, aber kein Jobkiller

Auch wenn die Furore um ChatGPT wieder abklingen wird, bin ich mir sicher: Intelligente Systeme werden uns schon bald in immer mehr Bereichen unseres Berufslebens kräftig unter die Arme greifen. Und doch glaube ich nicht daran, dass die KI automatisch ganze Branchen und Jobs überflüssig machen wird.
Im Gegenteil: Wenn die KI-Systeme mehr und mehr Routinetätigkeiten übernehmen, können sich die Menschen produktiver und effizienter den Spezialaufgaben widmen. Und gerade diese Aufgaben werden künftig eher mehr als weniger. Hier sehe ich sogar deutliches Potenzial für die Technische Redaktion: Wenn das Hochindividuelle an Bedeutung gewinnt, sind qualifizierte Informationsvermittler:innen noch dringender gefragt. Indem sie Wissen optimal aufbereiten und zugänglich machen, befähigen sie die Menschen dazu, Aufgaben mit einem höheren Spezialisierungsgrad zu übernehmen.
Das gilt auch für das Zusammenspiel von Mensch und KI. Die Fähigkeit, dem System die richtigen Fragen zu stellen, wird immer wichtiger und zu dem Softskill der Zukunft.
Das Wichtige vom Unwichtigem trennen, die Zielgruppe in den Fokus nehmen, kritisch (hinter)fragen – all das sind Fähigkeiten, die Technische Redakteur:innen schon heute auszeichnen. Ich bin sicher, dass sie auch künftig eine zentrale Schnittstelle im Wissenstransfer der Unternehmen sein werden.

Lars Kothes
Autor:
Blog post Lars Kothes