Kunden investieren in Mehrwert. Mehrwerte können dabei unbegründete persönliche Wünsche, aber auch objektiv messbare Mehrwerte sein. Das ist zwar eher eine kaufmännische Binsenweisheit als hohe Management-Schule, aber diese Aussage verweist implizit auch auf die Chance, die sich durch Digitalisierung bietet: Digitale Dienstleistungen erweitern oder ersetzen bisherige Geschäftsmodelle, indem sie gegenüber dem Status quo Mehrwerte bieten. Dabei ist es unerheblich, ob es um Hersteller von Investitions- und Konsumgütern wie Maschinen- und Automobilbauer sowie Haushaltsgerätehersteller oder Dienstleister wie Versicherungen und Banken oder Softwarehersteller geht.
Nichts ist näher am Kunden als die Informationen, die ihm bereitgestellt werden. Vom ersten Kontakt zu einem potentiellen Kunden bis zum Ende des Produktlebenszyklus repräsentieren Informationen das Unternehmen, das Produkt oder die Dienstleistung gegenüber dem Kunden. Dies beginnt mit dem Marketing, das Interessenten über verschiedenste Kanäle erreicht. Aber genauso zählen zu diesen Informationen die Schlussfolgerungen einer Predictive-Maintenance-KI, die stetig Sensordaten auswertet. Und natürlich gehören auch die Technische Dokumentation, die Erläuterungen bei Dienstleistungen und Hilfsangebote bei Softwareprodukten dazu.
Widmen sich nun Unternehmen digitalen Geschäftsmodellen und Dienstleistungen, entstehen oftmals innovative Customer Journeys. Wenn diese konkretisiert und ausdefiniert werden, treten schnell die zweifellos wichtigen technischen Möglichkeiten und Herausforderungen in den Vordergrund: Welche Systeme brauchen Schnittstellen? Wo braucht es welche Sensoren? Wie können Nutzerdaten sinnvoll ausgewertet werden? Das sind wichtige zu klärende Fragen. Allerdings erst später.
Zuvor sollte das Geschäftsmodell allen Beteiligten klar verdeutlicht werden – beispielsweise in einer Business Model Canvas: Bieten wir den Kunden morgen noch dasselbe Nutzenversprechen (Value Proposition) wie heute oder bieten wir einen Mehrwert? Um diesen Mehrwert zu schaffen, braucht es meist verschiedene Ressourcen und Aktivitäten. Entsprechend sollte überlegt werden, wie diese zusätzlichen Aufwände auch Einnahmen erzeugen – das wird sich jedem erschließen. Bei digitalen Geschäftsmodellen sind heute zum Beispiel Pay-per-use- oder Abo-Modelle verbreitet. Informationen und ihre Kanäle können hier aber auch ein eigenes Nutzenversprechen bieten und somit selbst Bestandteil des digitalen Portfolios werden.
Ein Beispiel: Ein Hersteller industrieller 3D-Drucker baut online ein Informationsportal für seine Kunden auf. Hier finden sie alle Informationen, egal ob sie sich nur über Produkte informieren, die Anleitung zu ihrem 3D-Drucker herunterladen oder den Herstellerservice kontaktieren wollen. Um ein Alleinstellungsmerkmal in der Branche Additive Manufacturing aufzubauen, wird zusätzlich ein Sprachassistent bereitgestellt, der z. B. über Produkte informiert. Gegen eine monatliche Gebühr bekommt der Betreiber zusätzliche Funktionen. Bei einem auftretenden Fehler kann jetzt der Sprachassistent nach dem Frage-Antwort-Prinzip gemeinsam mit dem Betreiber den Fehler eingrenzen, identifizieren und die entsprechenden Lösungsschritte direkt im Informationsportal aufrufen. Auch kann der Sprachassistent nach passenden Einstellparametern gefragt werden. Durch Feedback des Betreibers im Informationsportal und anonyme Nutzungsstatistiken aus der geführten Fehlerbehebung folgen dann weitere Verbesserungen:
Zu solch digitalen Business Cases können mehrere Wege wie beispielsweise Design Thinking for Industrial Services oder Entwickeln digitaler Dienstleistungssysteme nach DIN Spec 33453 führen. Entscheidend hierbei ist, dass die Content-Strategie ganzheitlich über Abteilungsgrenzen hinweg betrachtet, mit aufgenommen und als eigener Eckpfeiler eines digitalen Portfolios in Betracht gezogen wird. Für jedes Unternehmen muss der Business Case abhängig von den unterschiedlichen Herausforderungen und Voraussetzungen anders aussehen und muss individuell durchgerechnet werden.
Nehmen wir uns das vereinfachte Beispiel für unseren Hersteller von industriellen 3D-Druckern: Dieser hat herausgefunden, dass seine Kunden von verschiedenen Zulieferern wichtige Bauteile auf mehreren 3D-Druckern produzieren. Durch komplexe Fehler, die schwer zu identifizieren sind, entstehen über die gesamte Produktion Einbußen von etwa 10.000 Euro pro Monat. Der Sprachassistent wird gegen eine monatliche Abo-Gebühr von 500 Euro bereitgestellt. Schafft es unser Hersteller, diesen Sprachassistenten nur bei 50 seiner Kunden in den Einsatz zu bringen, erwirtschaftet alleine dieser Informationskanal 300.000 Euro pro Jahr. Zwar sind die Informationen, die den Sprachassistenten speisen, schon vorhanden, dennoch müssen dem anteilige Software- und Personalkosten gegenübergestellt werden. Zusätzlich zu den verbleibenden 200.000 – 250.000 Euro bekäme unser Hersteller über die Nutzerdaten Informationen aus erster Hand, wie seine Produkte genutzt und wie sie verbessert werden können.
Dieses Beispiel greift hierbei nur einen Punkt einer Digitalisierungsstrategie heraus und muss im wirklichen Leben im Kontext des gesamten Geschäftsmodells betrachtet werden. Welchen Umsatzanteil künftig die Informationskanäle und Content-Strategie beitragen, gilt es noch zu verifizieren – aber nicht zu handeln, ist keine Option. Denn gerade bei Digitalisierungsstrategien gilt: Wer nicht zu den Ersten gehört, der gehört zu den Letzten. Und den Letzten bleibt meist wenig Gestaltungsspielraum.