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Nutzerfreundliche Gebrauchsanleitungen für Medizinprodukte

Warum Usability kein Luxus ist.

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Nutzerfreundliche Gebrauchsanleitungen für Medizinprodukte

Manchmal frage ich mich schon, was die Volksvertreter in der EU den ganzen Tag machen. Ein Teil der Arbeit besteht wohl darin, Regeln zu schaffen, damit Produkte sicherer werden. Ich bin zwar nicht sicher, welche Gefahren von krummen Gurken ausgingen, kann aber gut verstehen, dass es für Produkte in der medizinischen Anwendung höhere Anforderungen gibt als für Produkte in anderen Bereichen. Dass die Anforderungen insbesondere an die Dokumentation in der Tendenz steigen, ist wohl kein Geheimnis.

Ich möchte mich im Folgenden speziell auf Gebrauchsanweisungen für Medizinprodukte und die Anforderungen der Verordnung 2017/745 EU beziehen, aber die angesprochenen Punkte lassen sich auch auf In-vitro-Diagnostika und vom Wesensgehalt her auch auf die die „alten“ Richtlinien (93/42/EWG, 90/385/EWG und 98/79/EG) übertragen.

Einige Inhalte, die der Gesetzgeber fordert, sind i. d. R. schnell integriert. Der Abschnitt zur Zweckbestimmung einschließlich Angaben zu Indikationen, Kontraindikationen etc. kann häufig aus anderen Dokumenten aus dem Zulassungsverfahren übernommen werden. Gesetzliche Anforderung erfüllt – Haken drunter. Bei Handlungsanweisungen ist der Weg zum „Haken drunter“ allerdings deutlich komplexer.

Wie können anleitende Texte gestaltet werden, die die gesetzlichen Anforderungen erfüllen?

Handlungsanweisungen des Umfangs „Filter entnehmen und neuen Filter einsetzen.“ reichen leider in den wenigsten Fällen aus, um im Usability-Labor zu bestehen. Wie aber müsste eine Anleitung zum Ersetzen von Verbrauchskomponenten aussehen? Wie müssen Instruktionen beschaffen sein, damit der Anwender mit hoher Wahrscheinlichkeit alles fehlerfrei nachvollziehen kann?

Der erste Schritt ist die Zielgruppenanalyse. Man muss herausfinden, wer die Gebrauchsanweisung voraussichtlich lesen wird, und kann danach entscheiden, wie detailliert man beschreibt, welches Sprachniveau angemessen ist und welche Informationen als bekannt vorausgesetzt werden können. Die Redakteurin oder der Redakteur kann zudem während der Inhaltserstellung abschätzen, wo Abbildungen den Text unterstützen müssen.

Wenn man sich darüber hinaus Gedanken um die Zustände des Produkts macht und dabei die Aufgaben des Anwenders im Blick hat, beginnt der Prozess, sich in die Nutzungssituation hineinzuversetzen.

Ganz simpel muss erstmal klargestellt werden, wozu der Textabschnitt anleitet. Der Nutzer hat Aufgaben und will Informationen zu seinen Aufgaben finden. Dazu muss er den Inhalt von Textabschnitten einschätzen können. Das kann schon eine passende Überschrift leisten. Zusätzlich muss beschrieben werden, unter welchen Voraussetzungen der Nutzer eine Handlungsanweisung überhaupt beginnen kann. Vermutlich müsste zum Filterwechsel das Gerät ausgeschaltet werden und bestimmte Abdeckungen müssten demontiert sein – auch das sind (separate) Handlungsanweisungen.  Danach muss sich die Redakteurin oder der Redakteur beim Schreiben bewusst machen, welche Schritte tatsächlich durchlaufen werden. Gerade wenn man ein Gerät kennt, lässt man gerne vermeintlich banale Handlungsschritte weg. Das kann jedoch verhindern, dass eine Handlungsanweisung zum Anwenderziel führt.  Werden schlussendlich noch die Zustände berücksichtigt, die nach einer bestimmten Handlung vorliegen (sollen) und wie diese Zustände überprüft werden können, hat man eine vollständige Instruktion nach Lehrbuch geschaffen.

Angemessene Medien – Was braucht der Anwender?

Die eben erwähnten anleitenden Texte stellen nur einen kleinen Ausschnitt aus den vorhandenen Möglichkeiten zur Informationsvermittlung dar. Ob eine (zusätzliche) Darreichungsform sinnvoll ist, kann i. d. R.  mit Blick auf die Zielgruppe, die Aufgaben und die Nutzungssituation entschieden werden. Die Wahl und Gestaltung der Inhalte sollte immer zusätzlich die Besonderheiten des gewählten Mediums berücksichtigen.

Eine vollständige Gebrauchsanweisung in gedruckter Form liefern Hersteller üblicherweise mit den Produkten. Im Berufsalltag der medizinischen Berufe ist dieses Medium aber häufig nicht ausreichend oder gar ungeeignet. Knapp gehalten und abwaschbar ist hier wohl eher der Wunsch. Oder bei Bedarf auf Tablets oder sonstigen Endgeräten aufgerufen per Sprachbefehl. Gerne auch ergänzt mit Video oder Ton und in verschiedenen Sprachen. Smart eben.

Interessant finde ich in diesem Zusammenhang, dass das Endergebnis, wie ich es in diesem Blog vorgestellt habe, sich ziemlich genau mit den Forderungen aus Kapitel III, 23.1, a) deckt. Der Gesetzgeber hat sich also bereits festgelegt, dass er Gebrauchsanweisungen fordert, die den Nutzer zielführend anleiten – Anleitungen, die ein Teil der Usability sind. Krumme Gurken sind mittlerweile O. K., schlechte Gebrauchsanweisungen sind es aber zum Glück nicht.

Jörg Sannemann
Autor:
Blog post Jörg Sannemann