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Maßanzug oder Doku von der Stange?

Geschrieben von Steffen Vorderstemann | 3. August 2020 04:00:00 Z

Website, Poster, Verpackung oder die Benutzeroberfläche einer Software – hochwertige visuelle Inhalte sind für Unternehmen längst unverzichtbar geworden. Die Macht der Bilder reicht aber weit über das reine Transportieren von Werbebotschaften hinaus.
Besonders bei der Vermittlung von technischen Inhalten leisten Abbildungen eine wichtige Hilfestellung, um komplexe Sachverhalte leichter verstehen zu können. So kann eine didaktisch sinnvolle Visualisierung maßgeblich dazu beitragen, dass eine Bedienungsanleitung ihren Zweck erfüllt. Denn nur wer die Funktionsweise eines Produkts richtig versteht, kann dieses auch sicher und effektiv handhaben.

Attraktiv gestaltete Produktinformationen sind teuer?

Qualitätssteigerung dank anschaulicher Grafiken – die Vorteile für die Dokumentation eines Produkts und damit für den Anwender liegen auf der Hand. Im Redaktionsalltag zeigen sich die Herausforderungen aber gerade auf der Kostenseite: Die Erstellung professioneller Grafiken ist zeitintensiv und wird damit schnell zu einem wesentlichen Kostenfaktor besonders bei umfangreichen Projekten.
Muss ich mich also auch in der Technischen Dokumentation notgedrungen zwischen Qualität und Kosteneffizienz entscheiden? Oder besteht die Chance auf eine ausgewogene Balance zwischen ökonomischer Doku-Erstellung und gleichzeitig attraktiver Illustrierung? So vielseitig die Faktoren sind, die über den erfolgreichen Verlauf eines Projekts in der Praxis entscheiden, so vielseitig dürften die Antworten auf diese Frage ausfallen.
Wie wäre es also mit einem kurzen Ausflug in die Arbeit der kothes-Redaktion?

Stellen wir uns dazu ein junges Start-up vor, das unmittelbar davorsteht, mit einem innovativen Produkt die Consumer-Welt zu erobern. In der heißen Phase vor dem Markteintritt werden alle Energien des Teams gebündelt, damit die Finalisierung des Produkts rechtzeitig gelingt. Verständlich, dass jetzt weder Zeit noch Manpower zur Verfügung stehen, um sich der zwingend notwendigen Benutzerdokumentation zu widmen. Wird so die Doku-Erstellung etwa noch zum Stolperstein auf den letzten Metern vor dem Release-Datum? In einem solchen Szenario ist es oft hilfreich, ohne lange Umwege direkt Unterstützung vom externen Fachdienstleister anzufordern.

Schon bei den ersten Gesprächen mit unserem neuen Kunden wird uns eins klar: Eine Benutzerinformation, die das Produkt angemessen beschreibt, muss dessen Ästhetik und Benutzerfreundlichkeit gerecht werden oder mit anderen Worten: Zusätzlich zur formal-inhaltlichen Qualität muss die Bedienungsanleitung den Anwender mit einer schicken Optik überzeugen.
Ein solches Szenario scheint im ersten Moment wie geschaffen für eine maßgeschneiderte Lösung mit gängigen Desktop-Publishing-Tools, idealerweise unterstützt durch eigens kreierte Layout-Designs. Professionelle Fotos oder Renderings könnten darüber hinaus die hochwertige Bebilderung der Anleitung sicherstellen.
Der Haken bei diesem Vorgehen: Eine nutzergerechte und normenkonforme Anleitung ist keine Werbebroschüre aus der Marketingabteilung. So verlockend die individuelle Layout- und Grafikgestaltung auch sein mag, die Zauberworte für eine effiziente Doku-Erstellung von komplexen Produkten aus dem Bereich der Technik lauten nach wie vor „Standardisierung“ und „Wiederverwendung modularer Inhalte“. Spätestens beim Management von Produktvarianten und deren Übersetzungen stoßen DTP-Tools schnell an ihre Grenzen. Die Abbildungen stellen uns vor noch größere Hindernisse: Fotos und Renderings sind schon bei kleinsten Produktänderungen veraltet und müssen aufwendig neu erstellt werden.
Statt Maßanzug also doch besser die Standardlösung aus dem XML-basierten Redaktionssystem?
Für die strukturierte Aufbereitung der Informationen ist das zweifellos die Ideallösung, doch wie lässt sich damit eine hohe visuelle Qualität der Anleitung erreichen? Gerade bei der Stylesheet-gestützten Publikation von Anleitungen im industriellen Bereich ist eine Ansammlung von trockenen Textwüsten ja keine Seltenheit.

Ein Blick in die Praxis: Praktikable Lösungen für die Technische Redaktion

Die gute Nachricht: Auch mit dem traditionellen Rüstzeug der Technischen Dokumentation kann eine optisch ansprechende Visualisierung von Informationsprodukten gelingen. Dabei hilft es, bereits früh im Redaktionsprozess an einigen, dafür aber wichtigen Stellschrauben zu drehen:

  • Entwickeln eines einheitlichen Abbildungskonzepts in enger Abstimmung mit dem Kunden:
    Dabei werden u. a. der Illustrationstyp (z. B. Vollflächenillustration), die zu verwendenden Farben (auf Grundlage des Corporate Designs des Unternehmens) sowie die Strichstärken von Konturen, Positionsnummern und Zierelementen in einem verbindlichen Leitfaden festgelegt.
  • Erstellen eines didaktischen Konzepts für die Illustrationen: Welche Bilder werden überhaupt benötigt? Für welche Zwecke und an welchen Stellen sollen Übersichten, Ablaufdiagramme oder Detailansichten verwendet werden? Welche Hauptperspektiven des Produkts sind erforderlich, um einheitliche und wiederverwendbare Produktansichten erstellen zu können?
  • Bereitstellen der finalen CAD-Daten für alle zu dokumentierenden Produkte oder Bauteile durch den technischen Ansprechpartner des Kunden
  • Vorbereiten der CAD-Modelle im 3D-CAD-Programm durch den Technischen Redakteur:
    Anlegen von Farbattributen sowie Erstellen der zuvor festgelegten Ansichten des Produkts und seiner Komponenten
  • Exportieren der Vollflächenillustrationen per Knopfdruck aus dem CAD-Programm
  • Nachträgliche Bearbeitung der Vollflächenillustrationen im vektorbasierten Grafikprogramm durch den Technischen Redakteur, z. B. Hervorheben und Hierarchisieren von handlungsrelevanten Bildelementen durch Verwendung von Transparenz oder Farbabstufungen
  • Komposition der einzelnen Illustrationen von Komponenten zu anschaulichen Übersichtsgrafiken
  • Finalisieren der einzelnen Abbildungen durch das Zusammenfügen von Illustrationen, Grafikelementen, Symbolen und Positionsnummern

Mit redaktionellem Geschick und gründlicher Planung zum hochwertig illustrierten Informationsprodukt: Natürlich soll das hier beschriebene Vorgehen kein allgemeingültiges Patentrezept für sämtliche Herausforderungen in der Doku-Welt sein. Je nach Produkt und Kundenanforderung kann es immer noch empfehlenswert sein, einzelne gestalterische Aufgaben gleich in professionelle Illustratorenhände zu geben. Der vorgeschlagene Lösungsweg zeigt aber einmal mehr, dass visuell attraktive Dokumente auch im traditionellen Redaktions-Workflow und noch dazu direkt aus Redakteurshand realisiert werden können.